⊗ r. anderscheinungen ⊗ mein denkraum.
Sonntag, 26. September 2004
düstere erkenntnis
jeder ist soldat, wenn es krieg ist, ausnahmslos jeder.

eigentlich ist der krieg ja längst vorbei. der krieg, der letzte krieg, der vernichtungskrieg...
alles ist zerstört, die städte sind grau und leer, die sonne scheint schon lange nicht mehr und der himmel ist gelb, wie schwefel. eisig ist es und sehr windig.
dass es schon lange keine pflanzen mehr gibt, muss hier nicht erwähnt werden, logisch.
der krieg ist vorbei, aber das chaos ist geblieben. rebellen ziehen durch die kalte einöde - ich weiß nicht, gegen wen oder was sie rebellieren...vermutlich wissen sie es selbst nicht mehr - und kämpfen um die macht, aber um welche, wissen sie ebenfalls nicht.
immer wieder frage ich mich, wozu sie es tun. wir wissen doch alle, dass wir es nicht mehr lange machen. die luft ist verseucht, das wasser vergiftet, die wenige nahrung verdorrt und verdorben. wann hat es zuletzt geregnet ? ich habe es vergessen. es ist schon zu lange her...
hier, auf diesem planeten wird es nach meiner generation kein leben mehr geben. nie wieder.

noch gibt es soetwas, wie leben... eine ironie eigentlich, diesen zustand ein leben zu nennen, ich weiß...
noch gibt es auch menschen und jeder ist ein soldat. jeder. ausser den freaks. so nennen wir die armseligen gestalten, die sich nur noch mit psychedelischen drogen am leben erhalten. vielleicht sind sie nicht so armselig, wie ich sie sehe. vielleicht haben sie einfach nur einen weg gefunden, die kurze daseinsfrist, die verbleibt, erträglich zu gestalten. um ehrlich zu sein: ich glaube, auch ich würde schon zu den freaks gehören, wenn da nicht...wenn da nicht may wäre. may. ich habe sie in den wirren des krieges verloren, vor langer zeit. was aus ihr geworden ist, weiß ich nicht. aber ich werde alles daran setzen, es herauszufinden, bevor ich verrecke. ich habe nicht viel zeit. ich spüre, wie es mit mir zu ende geht.
momentan befinde ich mich in den trümmern, die einmal rheinmain hießen. bei mir sind phil und hans, zwei meiner freunde...die einzigen, die den krieg überlebten. phil hat nur noch ein auge, hans fehlen der linke arm und ein ohr. wir hatten glück. im krieg ist jeder soldat und soldaten haben keine allzu hohe lebenserwartung. wir haben gar keine mehr.
bis morgen früh wollen wir hier bleiben, in der ruine, in der ich vor vielen jahren zur schule ging. mir scheint, als wären es tausend jahre...
dann, wenn eigentlich die sonne aufgehen würde, wollen wir richtung osten aufbrechen. es heißt, dort gäbe es noch eine stadt, in der menschen leben. wenn ich may irgendwo finden kann, dann dort. unter dem fenster - oder dem, was mal ein fenster war - robbt eine horde freaks durch die trümmer. sie singen und lachen und ich verachte sie. ich weiß ja, dass es keine zukunft gibt und es egal ist, was man tut...sterben wird man so oder so...aber ihre fröhlichkeit widert mich an. phil reicht mir wie selbstverständlich ein gewehr. ziellos schieße ich in die menge der verkrüppelten, mit drogen vollgepumpten freaks. einem wird sein letztes bein weggefetzt, ein anderer lacht noch kurz und schrill auf, bevor sein schädel zerspringt. ich lache nicht. ich weine nicht. ich drücke noch einmal ab. dann lege ich mich schlafen.
vor dem krieg wäre jetzt die sonne aufgegangen...damals, bevor alles anfing... doch die sonne geht nicht auf. der himmel ist schwefelgelb, wie eh und je, eisige winde durchziehen die geisterstadt, in der ich einst lebte.
wir brechen auf und verlassen die stadt. außerhalb, im niemandsland, ist nur die stahlgraue steinwüste, die sich kilometerweit bis hin zum horizont streckt. nachdem wir einige stunden durch die einöde gewandert sind, machen wir eine kurze rast in den trümmern eines bauernhofes. verkohlte tierskelette durchbrechen das grau der wüste. der hunger nagt an uns, schon seit tagen. hans holt unsere letzten "nahrungsmittel" hervor und wir schlucken sie gierig. es sind kleine, braune kapseln, die das hungergefühl unterdrücken, zumindest für ein paar stunden.
hoffentlich erreichen wir die stadt im osten, bevor die wirkung nachlässt.
die fäulnis an meinem rechten arm ist schlimmer geworden. nicht mehr lange, dann wird sie den oberarm erreicht haben.
hatte ich erwähnt, dass ich seit wochen an einer neuen art der pest erkrankt bin ? vermutlich nicht, ich verdränge es gern. der krieg hat viele neue krankheiten hervorgebracht. ich hatte glück im unglück, mir nur diese einzufangen.
schweigend setzen wir unseren marsch fort. wir haben uns nicht mehr viel zu sagen, seit der krieg anfing. wir sind soldaten. im krieg ist jeder soldat. jeder. ausser den freaks. und soldaten verstehen sich auch ohne worte. das ist unsere entschuldigung für unser schweigen.
später erreichen wir ein verlassenes dorf und beschließen, unser nachtlager hier aufzuschlagen. nachdem wir unsere wenigen habseligkeiten in einem der keller untergebracht haben, erkunde ich mit phil das dorf. man muss vorsichtig sein. man weiß ja nie, wo die freaks lauern. als wir über den dorfplatz gehen, fallen schüsse. phil schreit auf, dann fällt er um und windet sich in todeszuckungen. sein linkes bein ist abgerissen und der knochen ragt nackt und blutend aus dem rumpf. ich kann ihm nicht mehr helfen und gehe in deckung. weitere schüsse fallen. ich beobachte, wie der rechte unterschenkel splitternd und spritzend zerschossen wird. ich lache ungewollt, denn der anblick erinnert mich an eine platzende wassermelone. phil schreit meinen namen, aber nur ein einziges mal, denn dann reisst eine granate ihm den schädel weg.
ich robbe über den kalten boden und erreiche unentdeckt das versteck, in dem hans wartet. er fragt nicht nach phil. stattdessen murmelt er etwas von „scheißfreaks“ und legt sich schlafen. ich schnappe mir den rucksack mit den waffen und schleiche mich ins erdgeschoss, überprüfe, ob freaks im haus sind und gehe denn in den noch fast intakten ersten stock. draussen höre ich den feind: die freaks. vorsichtig gucke ich aus dem fenster. es sind 6 oder 7 und sie durchsuchen phils leiche. ich greife in den rucksack, ziehe eine kleine granate hervor, reiße den ring ab und werfe sie auf meinen toten freund. kurz darauf liegen die scheißfreaks zerfleddert neben ihm. ich lache kurz triumphierend, dann gehe ich zurück zu hans und lege mich ebenfalls schlafen.

schüsse wecken uns. eilig packen wir unsere sachen zusammen und spähen durch eine luke nach draussen. ein paar freaks werden von soldaten über den dorfplatz gehetzt. und unter den soldaten ist... may! ich kann das es kaum glauben... sie ist es wirklich! wir stürzen die treppen hoch und auf den platz. hans wird von einer kugel in den bauch getroffen.
er versucht noch, das loch zuzuhalten, doch die gedärme quellen weiter, seine kraft lässt nach, er fällt zu boden und stirbt, seine hand hält das gewehr noch. es war ein guter tod. ein soldatentod. so soll es sein.

plötzlich steht may vor mir, nur wenige meter trennen uns. ungläubig sieht sie mich an, kommt auf mich zu und flüstert meinen namen.
als ich die hand nach ihr ausstrecke, gibt diese der pest nach und fällt ab. kein schmerz. nur das leise platschen auf dem glatten steinboden, wie wenn man ein schnitzel auf küchenfliesen fallen lässt. ich kann mich nicht mehr halten vor lachen. es amüsiert mich unwahrscheinlich, dass ich keinen schmerz fühle. doch da fühle ich doch etwas. den lauf von mays pump gun an meiner brust. nein, will ich schreien, nein, ich bin es doch! aber kein laut verlässt meinen mund.

klick.

ich sinke zu boden, während ich in mays blaue augen gucke und darin mein spiegelbild erblicke. mein spiegelbild ? das bild eines freaks...

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