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Sonntag, 26. Juni 2005
zum sein

nein, angst zu sterben hatte ich keine. nein, nicht die geringste.
natürlich wollte ich nicht sterben, hing ich doch an meinem leben, meinem umfeld und allem, was mir was bedeutet.
aber falls ich hätte sterben sollen, so wäre es egal gewesen.
ich hatte mir oft die frage gestellt, weshalb menschen angst davor haben, tot zu sein. ich hatte eine weile gebraucht, um festzustellen, dass ich differenzieren musste zwischen "angst davor tot zu sein" und "angst vor dem tod".
letzteres hat viel mehr in sich, jedoch weniger wichtiges. so ist die angst vor dem tod verbunden mit einer angst vor den dingen, die daraufhin folgen, beispielsweise die trauer nach dem tod eines liebgewordenen menschen, oder aber es ist die panik vor der eigenen trauer und vor der drohenden einsamkeit.
doch angst vorm tot sein...
da steckt mehr dahinter. ich wurde plötzlich mit mehreren fragen konfrontiert, und eine war für mich persönlich wichtiger als die andere: hätte mein leben einen sinn gehabt? hat mein leben etwas bewegt? wem nutzt mein tod? werde ich der welt fehlen?
aber ich hatte im lauf der jahre viele antworten gefunden, und eine davon hatte ich über alle anderen gestellt, und sie zur ultimativen antwort gemacht, zu meinem postulat:

ich lebe für das sein.

unabhängig davon, ob ich an gott glaubte, ich war der festen überzeugung, dass all meine taten, all mein tun, meine ganze existenz nur einem einzigen "grossen" zweck dienten: dem universum, oder spezieller und zugleich umfassender: der existenz.
ich kannte den sinn der welt, den sinn des alls und den sinn des seins nicht, doch empfand ich es als ungemeine geistige wohltat, mein ganzes leben so zu leben, in dem glauben, dass nichts davon umsonst ist. nein, im gegenteil! jede noch so kleinste handlung, jeder noch so winzige gedanke bringt die welt, bringt das sein ein stück weiter in seiner entwicklung. ich konnte mir beinahe bildlich vorstellen, wie klein ich im großen universum war, doch wusste ich, dass jedes element des grossen getriebes eine funktion erfüllte, und ich war eines dieser elemente.
anfangs hatte ich noch gezweifelt, ob ich damit nicht die verantwortung meines lebens dem kosmos zuschob. nun, mittlerweile war ich mir dessen sogar sicher, doch war gerade das nicht das einzig sinnvolle? für mein handeln war ich selbst verantwortlich, und in meiner umgebung musste ich mich mit den konsequenzen auseinandersetzen, doch für die zukunft des seins? wer weiss, vielleicht hatte jede noch so absurde oder gar schlechte handlung einen positiven effekt auf die existenz.

ich lebte zufrieden und glücklich mit all den problemen, die ein mensch hat. und so verschwand meine angst vor dem tod und dem "tot sein". ich hatte einen sinn gefunden, ich wusste, dass mein tod oder der anderer etwas grösserem dient, vor dem ich ehrfurcht und demut empfand. ich würde niemals glücklich sein, wenn meine mir lieben menschen einmal sterben, im gegenteil, ich würde lange und ausgiebig tränen vergiessen, tiefe trauer empfinden, die ungerechtigkeit suchen und finden. doch tief in mir, da lagerte ein kleiner funken rechtfertigung, der mich mit jedem noch so emotionalen ereignis fertig werden liess.
der "grössere" sinn.

doch wie aus heiterem himmel kam der moment, indem ich alles umkippte.
ich machte eine erfahrung, die mich auf mein gesamtes leben hin verändern würde, eine erfahrung, welche die meisten menschen einmal gemacht haben. ich machte eine phase durch, in der ich mich selbst nicht wiederfand, und ich merkte, dass etwas nicht stimmte. es dauerte einige wochen. nach dieser ümbrüchigen zeit fühlte ich mich glücklicher als je zuvor und zugleich grausamst verunsichert.
hatte ich doch eine höhere macht gefunden, die mich niemals wieder ganz loslassen würde. ich merkte, wie sehr ich meinen stolz auf all meine weltansichten vermisste. diese umgreifende und universelle sicht, dass alles einen zweck hatte und ich nur für diesen zweck lebte, hatte plötzlich einen kleinen fehler, der sich nicht verwischen liess, und der das gesamte konstrukt zum einsturz brachte.

ich hatte viele menschen gekannt und viele davon waren mir wichtig, einige mochte ich nicht und das gros war mir und meinem leben unwichtig. doch unter den mir wichtigen menschen bemerkte ich einen, dermir immer wichtiger wurde. und innerhalb der wochen des inneren umbruchs begriff ich, wie gross mein irrtum doch gewesen war.
ich hatte eine macht gefunden, doch war sie nicht göttlich. nein, ganz im gegenteil, sie war so natürlich wie alles andere auch und doch war sie grösser als alles, was ich mir je hatte vorstellen können. ich sah ein, dass ich doch angst vor dem "tot sein" hatte, aber nicht, weil ich dann nicht mehr "war", sondern weil mir dann etwas fehlen würde. nur mir? nein.

ich hatte die liebe gefunden, und sie überrannte mich, trampelte meine weltanschauung in grund und boden, zerwarf meine bilder, liess das glas meiner rosaroten brille zerspringen und umspannte nicht nur mich, sondern das, wofür ich vorher noch gelebt hatte: das sein.

ich hatte angst "ihr" zu fehlen, hatte angst, dass "sie" mir fehlte. das klare konzept einer kosmischen existenz, die mich so sehr beruhigt hatte, verwischte plötzlich mit dem untertitel "bei liebe geschlossen." die allmacht war verschwunden. sie wurde nicht ersetzt, denn die liebe ist auch nicht allmächtig.
eine gewaltige verunsicherung stieg in mir auf. wilde zweifel an allem plagten mein herz. hätte ich auch nur einen einzigen wunsch freigehabt, so hätte ich mir in anbetracht meines endlichen lebens gewünscht, diese liebe niemals zu verlieren.

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